Interview mit Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann: „Wir setzen in Sachsen-Anhalt auf Zukunftstechnologien“
17.11.2020
Corona-Pandemie, Digitalisierung, Wandel der Autoindustrie – die Wirtschaft erlebt Zeiten des Umbruchs. Für Sachsen-Anhalt ergeben sich daraus aber auch große Chancen, betont Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann im Interview. Durch enge Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft sowie gezielte Investitionen soll sich Sachsen-Anhalt verstärkt zu einem Land der Zukunftstechnologien entwickeln.
Herr Willingmann, trotz Corona-Pandemie verzeichnet Sachsen-Anhalt erstaunlich viele Unternehmensinvestitionen. Wie kommt das?
Prof. Dr. Armin Willingmann: Es kommt jedenfalls nicht überraschend! Insbesondere in den letzten Jahren hat sich Sachsen-Anhalt zu einem hoch attraktiven Investitionsstandort entwickelt. Wir haben Wirtschaft und Wissenschaft in dieser Legislaturperiode enger miteinander verzahnt und in beide Bereiche gezielt investiert. Nationale wie internationale Unternehmen kommen heute zu uns, weil sie über unsere erstklassige Hochschullandschaft auch in Zeiten des Fachkräftemangels Zugang zu hochqualifizierten Talenten erhalten und ihre Entwicklungsprojekte in Kooperation mit unseren Forschungseinrichtungen vorantreiben können.
Können Sie uns Beispiele nennen, wo und wie die engere Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft genau funktioniert?
Willingmann: Nehmen wir den Verkehrsflughafen in Cochstedt bei Magdeburg: Über Jahre hinweg war der Regionalairport mäßig erfolgreich, zwischendurch quasi geschlossen. Vor zwei Jahren haben wir uns deshalb stark dafür gemacht, dass der Airport vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) übernommen wird – mit Erfolg. Hier entsteht jetzt ein Nationales Erprobungszentrum für zivile unbemannte Luftfahrtsysteme. Cochstedt wird damit nicht nur Zentrum einer Zukunftstechnologie, der Forschungsflughafen entwickelt sich auch zu einem Anziehungspunkt für Unternehmen aus der Luftfahrt- oder Logistikbranche, die selbst Flugsysteme entwickeln oder nutzen wollen. Das Wirtschaftsministerium fördert die Ansiedlung über eine Sonderfinanzierung über 15 Millionen Euro und wird sich auch in den kommenden Jahren mit institutioneller Förderung weiter beteiligen. Und ich bin überzeugt, dass sich das lohnt, denn es entstehen vor Ort mehr Wertschöpfung und vor allem neue, hochwertige Arbeitsplätze.
Welche Investitionen in Forschungsinfrastruktur hat Ihr Ministerium darüber hinaus finanziert und auf welche Zukunftsbranchen setzen Sie?
Willingmann: Im Bereich der Medizintechnik zählt der Forschungscampus Stimulate in Magdeburg zu den Leuchtturmprojekten. 20 Millionen Euro haben wir für den neuen Standort im Wissenschaftshafen bereitgestellt, dort werden akademische und industrielle Partner in den kommenden Jahren Technologien für bildgeführte minimal-invasive Methoden weiterentwickeln, MRT-Geräte zum Beispiel. Und auch hier haben sich im Umfeld bereits Unternehmen und Start-Ups angesiedelt. Weitere Beispiele aufzuzählen würde zu weit führen, denn in den letzten Jahren haben wir mehr als 150 Millionen Euro in die wirtschaftsnahe Forschungsinfrastruktur investiert.
Grob kann man die Investitionen in die Bereiche Automotive, Chemie, Erneuerbare Energien, Medizintechnik, Pharmazie und Biotechnologie einordnen. Mit anderen Worten: in sehr zukunftsträchtige Bereiche. Und die haben sich zuletzt hervorragend entwickelt, wie etwa der Technologiepark Weinberg Campus in Halle. Mit mehr als 100 Unternehmen und Instituten, mit gut 5.500 Beschäftigten ist der Campus inzwischen der wichtigste Innovations- und Gründungsstandort für Life-Science, Biomedizin und Materialwissenschaften in Mitteldeutschland.
Umbrüche erlebt die Wirtschaft ja nicht erst seit der Corona-Pandemie. Die Autoindustrie stand beispielsweise schon vorher vor einem tiefgreifenden Wandel. Wie wirkt sich dieser auf den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt aus?
Willingmann: Umbrüche erfolgreich zu meistern, ist anspruchsvoll, keine Frage. Für Sachsen-Anhalt ergeben sich aus wirtschaftlichen Umbrüchen aber auch große Chancen. Schon heute besitzen wir beispielsweise im Bereich Automotive erstklassige Expertise. Diese wollen wir nutzen, um uns verstärkt zu einem Land der Zukunftstechnologien zu entwickeln. Auch hier investieren wir in Forschung. Etwa in den E-Mobility Campus, der in Barleben entstehen wird. Und wir unterstützen Forschungsprojekte der Unternehmen.
Dabei machen wir auch große Fortschritte: Die japanische Horiba-Gruppe errichtet bereits in Barleben ihr Europa-Testzentrum für Brennstoffzellen, schafft 250 neue Arbeitsplätze. Auch andernorts in Sachsen-Anhalt entstehen neue Kompetenzzentren: Der chinesisch-amerikanische Konzern Farasis baut für rund 600 Millionen Euro eine Fabrik für E-Auto-Batterien in Bitterfeld-Wolfen und schafft 600 Arbeitsplätze. In der Nachbarschaft hat die FEV-Gruppe gerade das weltweit größte, unabhängige Entwicklungs- und Testzentrum für Hochvolt-Batteriesysteme in Betrieb genommen. Und in Halle errichtet Porsche mit der Schuler AG ein hoch modernes Karosseriewerk, schafft rund 100 Arbeitsplätze.
Wir setzen alles daran, dort zu investieren, wo sich neue Märkte entwickeln. Mit dieser Strategie gelingt es uns bislang recht gut, nationale wie internationale Investoren von unserem Wirtschaftsstandort zu überzeugen – übrigens auch in Zeiten der Corona-Pandemie.
© MW/Nilz Böhme
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann und Dr. Ingo Bennecke, Geschäftsführer der Horiba FuelCon GmbH, beim Besuch des Testzentrums für Brennstoffzellen in Barleben. Das Unternehmen gehört seit 2018 zur japanischen Horiba-Gruppe, die unter anderem ein weltweit führender Anbieter von Testsystemen für Brennstoffzellen, Batterien und Elektrolyseure ist.
Lässt sich die erfolgreiche Entwicklung in Zahlen fassen?
Willingmann: Es lässt sich anhand der geförderten Unternehmensinvestitionen veranschaulichen: In der vergangenen Legislaturperiode lag das Investitionsvolumen bei 3,1 Milliarden Euro, in der aktuellen Legislaturperiode bis Mitte 2021 werden wir voraussichtlich ein Investitionsvolumen von mehr als vier Milliarden Euro erreichen.
Bundesweit wird zudem viel über Wasserstoff diskutiert – auch ein Thema für Sachsen-Anhalt?
Willingmann: Wir diskutieren nicht nur über Wasserstoff, dass Wirtschaftsministerium fördert bereits erste konkrete Projekte. In Wasserstoff steckt tatsächlich viel Zukunftspotenzial und Sachsen-Anhalt hat beste Voraussetzungen, davon zu profitieren. Wir waren schon immer ein starker Chemiestandort. Wir wollen das vorhandene Know-how nutzen und in den kommenden Jahren mit starken Wirtschaftspartnern wie Linde und Total sowie Forschungsinstituten der Fraunhofer-Gesellschaft eine Wasserstoff-Modellregion entwickeln. Am Chemiestandort Leuna soll Wasserstoff in Zukunft als nachhaltiger Rohstoff im Großmaßstab produziert und mit der exzellenten Infrastruktur an Gaspipelines und Gasspeichern zusammengeführt werden. Im Sommer 2020 haben wir deshalb den Startschuss für den Bau der Elektrolysetest- und -versuchsplattform ELP gegeben, die wir mit acht Millionen Euro unterstützen. Bei uns in Sachsen-Anhalt gibt es zudem Kavernen, die als großvolumige Wasserstoffspeicher genutzt werden könnten. Wir haben also viel Potenzial in diesem Bereich.
Der vieldiskutierte Klimawandel befeuert die wirtschaftlichen Umbrüche. Sachsen-Anhalt zählt zu den Ländern die unmittelbar vom Ausstieg aus der energetischen Nutzung der Braunkohle betroffen sind. Wie wird das Land damit umgehen?
Willingmann: Zweifellos werden Arbeitsplätze im Braunkohletagebau und in der damit verbundenen Wertschöpfungskette bis 2038 verlorengehen. Wir haben aber genügend Zeit, darauf adäquat zu reagieren. Und das tun wir auch: Wir investieren in Zukunftstechnologien und wollen über Neuansiedlungen neue industrielle Wertschöpfung mit hochwertigen Arbeitsplätzen erreichen. Die Wasserstoff-Modellregion wird hier eine wesentliche Rolle spielen, aber auch die Themen nachhaltige Chemie und Bioökonomie. Erst im Oktober hat der finnische Konzern UPM den Startschuss für den Bau einer weltweit einzigartigen Bioraffinerie für 550 Millionen Euro in Leuna gegeben, die wir seitens des Ministeriums mit rund 20 Millionen Euro fördern. Von 2022 an sollen dort aus nachhaltig erwirtschaftetem Laubholz Biochemikalien gewonnen werden und der nachhaltigeren Herstellung von Textilien, Kunststoffen, Gummi, Kosmetika und Medikamenten dienen.
Was macht Sie so optimistisch, dass weitere Ansiedlungen gelingen werden?
Willingmann: Es gibt mehrere gute Gründe für eine optimistische Herangehensweise: Schon heute ist Sachsen-Anhalt grundsätzlich ein attraktiver Investitionsstandort, der in vielen Bereichen erstklassige Expertise zu bieten hat – das haben bereits viele Investoren erkannt. Darüber hinaus stellt der Bund zur Bewältigung des Strukturwandels allein für Sachsen-Anhalt mehr als 4,8 Milliarden Euro zu Verfügung. Damit sind wir in der Lage, seitens des Landes gezielt zu investieren. Übrigens auch in digitale Infrastrukturen.